Der Beginn
Mit der Stationierung von US-Besatzungstruppen in Augsburg pflegten diese von Anfang an ihre kulturellen wie gesellschaftlichen Bräuche. Während es ein paar sehr spezielle amerikanische Feste gab, die in Deutschland überhaupt nicht oder nur ähnlich statt fanden, war Weihnachten auf beiden Kontinenten, allerdings mit unterschiedlichen Nuancen gebräuchlich. So überraschten die Amerikaner mit ihrer nationalen Weihnachtskultur auch die Augsburger Bevölkerung.
Schon 1946 organisierten die Besatzungstruppen ein Weihnachtsfest mit Kindern der Displaced Persons (DP´s), die in der späteren Reese Kaserne (damals noch Arras- , Panzerjäger- und Sommekaserne) in großer Zahl untergebracht waren. Dies beschrieb die ukrainische Schriftstellerin Alexandra Hawryluk 2005 in einem bewegenden Artikel. Mit Militärlastwagen wurden die Kinder in das Offizierskasino der (später so genannten) Sheridan Kaserne transportiert und erlebten dort eine unvergessliche Weihnachtsbescherung. Die Teilnahme Augsburger Kinder geht daraus nicht hervor.
In der Erkenntnis, das soziale Elend der Nachkriegsjahre mit einer politischen Versöhnungsgeste positiv verknüpfen zu können, schritten die US-Militärs bald dazu, die Demokratisierung der deutschen Bevölkerung schon bei den Kindern wirksam anzusetzen. Gleichzeitig konnte mit dem Gewinn der Jugend der Makel der Besatzungsmacht abgefedert werden. Nicht zuletzt trug auch die Kinderfreundlichkeit der amerikanischen Soldaten zu einer erfolgreichen Umsetzung des Reeducation-Programms bei.
Ende der 1940er Jahre pflegten die anwesenden Truppen bereits die Einladung bedürftiger Augsburger Kinder zu Weihnachtsfeiern in den Kasernen. Dies geschah, wie auch später, in den gut ausgestatteten Offiziersheimen der Wehrmacht, die von den Amerikanern als Officers Club oder Mess Hall genutzt wurden. Mit Beginn der 1950er Jahre, die Nachkriegsnot in der Stadt war ungebrochen sichtbar, erlebte das deutsch-amerikanische Weihnachten mit Kindern seine große Blüte. In allen Kasernen, auch in Gablingen, waren jedes Jahr Hunderte von Kindern zu ein paar beglückenden Stunden eingeladen. Die Augsburger Innenstadt zeigte sich damals noch mit einer vielfältigen Ruinenlandschaft. Zu dieser Zeit beschrieb der Infanterist John M. Holman, 109th Infantry, auf seiner späteren Website seine Erlebnisse mit einer Kinderweihnacht in Gablingen 1951. Jedes Kind bekam dabei einen Betreuungssoldaten zugewiesen, und mitunter entstanden daraus sogar lang andauernde Freundschaftsbeziehungen.
1952 überbot sich das Gablinger 109th Infantry Regiment geradezu mit Bescherungsaktionen. Die ganze Weihnachtswoche hinweg reihte sich dort eine Veranstaltung an die andere, der Weihnachtsmann kam sogar mit dem Hubschrauber angeflogen. Eine besondere Zielgruppe waren dabei die durch den Krieg elternlos gewordenen Waisenkinder. Allein am 20. Dezember wurden nach Presseberichten 1627 Augsburger Mädchen und Buben mit Spielsachen, Süßigkeiten und anderen weihnachtsgerechten Lebensmitteln beschenkt.
Nach der 43rd und 5th Infantry Division machte die 1956 einziehende 11th Airborne (Luftlande-) Division mit weihnachtlichen Großaktionen auf sich aufmerksam. Neben Kindern wurden nun auch alte Augsburger Bürger in die Betreuung mit einbezogen. 1957 errichteten die teils unliebsamen Fallschirmjäger einen riesigen Christbaum vor dem Hauptquartier in der Flak Kaserne, wo Santa Claus auf dem Rentierschlitten erschien.
Die Augsburg Post Times war von 1947 bis ca. 1952 die regionale US-Truppenzeitung und berichtete 1951 über die Weihnachtsbetreuung Augsburger Kinder.
Vertrauensbildende Maßnahmen von Angesicht zu Angesicht. Solche Szenen wurden später bisweilen als Propagandabilder der Besatzer abqualifiziert. Für die betroffenen Kinder waren dies im Jahr 1949 unvergessene Momente der Menschlichkeit, wie auch für die amerikanischen Soldaten. (Foto: Nachlaß Isolde Ehrensberger).
Bilder aus der Gablingen Kaserne. Oben: Kinderweihnacht 1949 (Foto: privat). Unten: Wartende Kinder aus Gersthofen und Gablingen 1951 vor Gebäude 445 (Foto: John M. Holman). Ganz unten: Artikelabschrift aus der Schwäbischen Landeszeitung von 1951 über eine Weihnachtsfeier im Cafe Lohwald, Westheim (Notiz: Werner Lorenz).
Weihnachten 1952 in der Flak Kaserne: Soldaten der 43rd Infantry Division essen gemeinsam mit bedürftigen Augsburger Kindern. In einer Zeit großen Nahrungsmangels bedeutete dies für die jungen Augsburger ein äußerst schätzenswertes Erlebnis, das Erinnerungen bis in das Erwachsenenleben prägte.
In der Zeit
Nach der Umstellung der 11th Airborne Division zur 24th Infantry Division blieben die weihnachtlichen Aktivitäten in den 1960er Jahren erhalten. Weiterhin wurden Kinder- und Waisenhäuser im Stationierungsraum der Division mit Weihnachtsmannbesuchen erfreut. Auf gesellschaftlicher Ebene lud Generalmajor Charles M. Bonesteel 1961 rund 800 Gäste zu einem großen Weihnachtsball in das Sheridan Offizierskasino ein.
Mit der typisch amerikanischen Weihnachtstradition durch Santa Claus erkannten die Augsburger, daß dieser nicht dem deutschen heiligen Sankt Nikolaus mit Bischofsmütze und Hirtenstab gleichzusetzen war. Santa Claus kam humorvoll mit rotem Mäntelchen und Zipfelmütze, und überhaupt war alles, wie auch die amerikanische Weihnachtsmusik, beschwingt und heiter. Für die deutsche Weihnachtskultur - getragen, besinnlich und feierlich - geradezu ein Affront. Doch erfreuten sich bald mehr und mehr Augsburger am amerikanischen Weihnachtswesen, welches gerade in den Wohnanlagen der Soldaten vielseitig zum Ausdruck kam: Amerika war unübersehbar in Augsburg angekommen.
Eine ganz andere Konstellation der Weihnachtsbetreuung war die Zusammenkunft von Altenheimbewohnern im Sheridan Offizierskasino. Dort bemühten sich u.a. Kinder der Elementary School als amerikanischer Christmas Engel verkleidet um die weihnachtliche Seniorenbetreuung. Diese Veranstaltungen organisierte der Deutsch-Amerikanische Frauenclub. Dutzende US-Kinder sangen in deutscher wie englischer Sprache weihnachtliche Lieder und beschenkten die Alten. Überhaupt gehörten weihnachtliche Geschenkbesuche, Basars und Feierlichkeiten zum alljährlichen Standardprogramm des Deutsch-Amerikanischen Frauenclubs.
Aus einer Weihnachtszeitung der 24th Infantry Division, 1960er Jahre.
Santa Claus kommt mit dem M60-Panzer. Saloppe Szene aus der Sheridan Kaserne in 1976 bei einer Kinderweihnacht, in der auch Spenden gesammelt wurden (Foto: via Michael Jungblut, 3/63rd Armor).
Amerikanische Christmas-Engel der Elementary School beschenken Augsburger Altenheimbewohner im Officers Club der Sheridan Kaserne, 1974 (Foto: D-A Frauenclub).
Ein Wechsel
Ende der 1970er Jahre erfolgte eine Trendwende in der deutsch-amerikanischen Weihnachtskultur. Das US-Hauptquartier in Heidelberg veranschlagte nämlich einen Wettbewerb, amerikanische Soldaten zum Weihnachtsfest in deutsche Familien einzuladen. Wie in allen anderen US-Standorten wurden auch in Augsburg dementsprechende Presseaufrufe gestartet und die Garnisonskommandeure wetteiferten untereinander, die höchsten Vermittlungszahlen vorweisen zu können.
Humanitäres Ziel des Christmas Cheer war es, ledige oder verheiratete Soldaten ohne mitgebrachte Familien von der weihnachtlichen Kasernentristesse zu befreien und mit deutschen Familien in Kontakt zu bringen. Das besinnliche deutsche Weihnachten („Stille Stunden“) wurde nun für die teilnehmenden GI´s eine reale Erfahrung, zumal die Amerikaner den heiligen Abend als weihnachtlichen Höhepunkt gar nicht kannten.
Diese Weihnachtsaktionen mit bis zu 100 Unterbringungen pro Jahr liefen bis 1991, und nicht immer konnten alle gemeldeten Soldaten untergebracht werden. Die äußerst aufwendige Organisation der Weihnachtsvermittlungen führte das örtliche Public Affairs Office durch. Im Gegensatz zu den meisten anderen Garnisonen wurden die Augsburger Soldaten den ausgesuchten Gastfamilien im Sheridan Officers Club erst vorgestellt. Wünsche und Interessen, aber auch evtl. Abneigungen beider Seiten berücksichtigte man dabei so weit es ging. Ebenfalls entstanden hierbei lang andauernde Freundschaften zwischen den Beteiligten.
Familiäre Betreuung zweier GI´s in den 1970/80er Jahren (Fotos: Privat).
Und last not least: auch in den Kasernen lebten die amerikanischen Soldaten auf sehr unterschiedliche Weise ihren Christmas Day mit Santa Claus und beschwingten Weihnachtsliedern. Als geschichtlicher Abdruck verblieben bis heute die hier einst unüblichen bunten Dekorationsbeleuchtungen, mit denen sich nicht jeder Deutsche anfreunden konnte. Dennoch gehören sie inzwischen zu den nachhaltig prägenden US-Einflüssen des Nachkriegsdeutschlands. Mit dem Fall der Berliner Mauer, der deutschen Wiedervereinigung und dem endgültigen Abzug der US-Truppen aus fast allen Garnisonsstädten war auch das Kapitel des binationalen Weihnachten beendet. Heute erinnern sich die ehemaligen Soldaten, Soldatinnen und deren Familienangehörige wehmutsvoll an den Augsburger „Christkindlesmarkt“, der zu einem ganz besonderen Exportprodukt der Erinnerungskultur geworden ist. Und die Hiergebliebenen Veteranen besuchen ihn Jahr für Jahr mit gleich großer Begeisterung.
Bescherung von Waisenkindern in der Reese Kaserne, Mitte 1980er Jahre (Foto: via Todd Jones, 1st Bn 36th Field Artillery).
Kasernenweihnacht Ende der 1980er Jahre, Flak Kaserne, 66th MI Bde (Foto: Archiv AiA).
Seniorennachmittag im Sheridan Officers Club 1988 (Foto: Deutsch-Amerikanischer Frauenclub).
Bei der Weihnachtsfeier des Frauenclubs 1986 präsentieren sich die deutsche Präsidentin Marina Lindenberg als Christkind, die amerikanische Präsidentin Candy Edgerley als Santa Claus (Foto: Deutsch-Amerikanischer Frauenclub).
Kasernenweihnacht der deutschen Zivilangestellten in den 1990er Jahren. Vor den Feierlichkeiten erfolgten Ansprachen des DEH und eines Abgesandten der Kommandantur mit Santa Claus, dem stellvertretenden Vorsitzenden des Work Council´s (Fotos: privat).
Einladung zu einem Weihnachtsessen bei der 24th Infantry Division 1967 in der Reese Kaserne.
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