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Atomkanonen in (und um) Augsburg

 

Die Augsburger staunten nicht schlecht, als sich am 24. August 1954 zur Mittagszeit ein ungewöhnliches Militärgespann im 20-Stundenkilometer-Tempo durch die Innenstadt bewegte: es war eine nach einem Unfall in Nähe Schongau geborgene Atomkanone, deren mehrfache Existenz zur Abschreckung im Kalten Krieg diente. Ihre Entwicklung reichte bis in den Zweiten Weltkrieg zurück und basierte auf dem deutschen K5-Eisenbahngeschütz "Leopold". 20 Stück davon baute man allein zwischen 1951 und 1953. 1958 verfügte die 7. US-Armee in Deutschland dann über sechs Bataillone mit 36 solcher Atomgeschütze, Augsburg war allerdings kein Stationierungsort. 

Die "M65 Atomic Annie", wie sie in Militärkreisen genannt wurde, sollte im Falle eines Angriffs durch den Warschauer Pakt die Überschreitung des Eisernen Vorhangs notfalls auch atomar aufhalten (Eisenhower Doktrin). Das riesige Geschütz mit einem Rohrdurchmesser von 280 mm war einerseits ziemlich geheim, andererseits aber zeigten die Amerikaner die Riesenkanone durchaus in der Öffentlichkeit. Damit konnten sie das Selbstbewußtsein ihrer militärischen Stärke glaubhaft zum Ausdruck bringen. Es war seinerzeit das einzige Geschütz der USA, das sowohl konventionelle wie nukleare Sprengköpfe verschießen konnte. Die Sprengkraft lag bei 15.000 Tonnen TNT. Die Sowjets antworteten 1956 dementsprechend mit einem 40 cm-Artilleriegeschütz auf Selbstfahrlafette unter dem Codenamen "Kondensator". Die Spirale des Wettrüstens war damit voll im Gange. 

Das von zwei Schlepp-Schubfahrzeugen bewegte Geschütz war insgesamt 26 Meter lang, wog 85 Tonnen (davon allein 42,5 Tonnen die Kanone samt Lafette) und benötigte zur Bedienung neun Soldaten plus Offizier. Dazu kam ein Troß von verschiedensten Unterstützungsfahrzeugen. Die Lebensdauer des 13 Meter langen und 19 Tonnen schweren Kanonenrohres war mit ca. 300 Schuß angegeben, was bei Verwendung nuklearer Geschossköpfe zu einem atomaren Inferno in Deutschland geführt hätte. Die damals 4,2 Millionen DM teure Waffe vermochte nämlich "nur" 32 Kilometer treffsicher zu schießen und hätte ein radioaktiv verseuchtes Gefechtsfeld in der Bundesrepublik verursacht. Der einzige nukleare Testschuß einer solchen Kanone fand am 25. Mai 1953 in der Wüste von Nevada mit einer Schußweite von 11 Kilometern statt.

 

Links: Der Nevada-Schuß im Mai 1953. Rechts: Ein Museumsstück der Atomkanone in den Vereinigten Staaten (Foto: Aberdeen Ordnance Museum).

Doch zurück nach Augsburg. Der am 24. August 1954 gesichtete Rückführungstransport von Haunstetter Straße/Rotes Tor über Schaezlerstraße, Wertachbrücke, Donauwörther Straße bis zur Autobahn-Anschlußstelle West ließ hinsichtlich der noch kriegsbeschädigten Wertachbrücke gewisse Zweifel an deren Standfestigkeit aufkommen. Deshalb entschloß man sich die Brücke für die Überfahrt komplett zu räumen. "Gute Straßen, feste Brücken und weite Kurven" war die Devise für Fahrten mit den Geschützkolossen. Dennoch zeigen viele Bilder aus dieser Zeit, wie leger und kriegsnah diese Anforderungen oft ausgelegt wurden. Enge Dorfstraßen und deren Kurven scheute man ebenso wenig wie unfestes Gelände. Hier half der durch die Bereifung verursachte geringe Bodendruck auch zum Einsatz in grüner Flur. 

Ein zweiter Augsburg-Besuch mit gleich zwei Atomgeschützen fand im Zuge von Herbstmanövern am Samstag Nachmittag, den 26. September 1954 auf dem Sportplatz der Reese Kaserne statt. Während der Halbzeit eines amerikanischen Fußballspiels wurde auf dem Spielfeld in nur viereinhalb Minuten ein solches Geschütz demonstrativ in Feuerstellung gebracht. Der Abbau dauerte geringfügig länger. Die offizielle Rüstzeit (Auf- und Abbau der Geschützlafette) war mit 27 Minuten deklariert. Die beiden Atomgeschütze wurden dann für vier Wochen in der Flak Kaserne abgestellt und sorgten dort in der Öffentlichkeit für Aufsehen und Unbehagen.

Links: Eine Atomic Annie auf der Durchfahrt in Aichach. Rechts: Zwischenhalt zweier Atomgeschütze auf dem Autobahn-Rastplatz Augsburg Ost, 1955 (Fotos: H. Wohlmuth).

Am 4. November 1954 wurde dann mindestens ein drittes Mal eine "Atomic Annie" in Augsburg präsent, nämlich beim Tag der offenen Tür in der Sheridan Kaserne. Dies sollte die Feierlichkeiten zum 156. Geburtstag des 11th Infantry Regiment der damals in Augsburg anwesenden 5th Infantry Division publikumswirksam aufwerten. Die öffentliche Ausstellung einer solchen Abschreckungswaffe vermochte auch der politischen Beruhigung der Bevölkerung dienen, welche die Eskalation des Ost-West-Konflikts nur zehn Jahre nach Kriegsende täglich aufs neue wahrnahm. Die Anwesenheit der beiden Atomkanonen (voran in der Flak Kaserne) hat Lutz Goebel in der Schwäbischen Landeszeitung (heute: Augsburger Allgemeine) in einem längeren Artikel zur militärpolitischen Weltsituation eindrucksvoll und kritisch kommentiert. Er schreibt damals nicht nur von einer bereits mehrfach erfolgten Durchfahrt in Augsburg, was heute nicht mehr sicher nachvollziehbar ist, sondern daß es ein Paradoxon sei, wenn gerade solche vernichtungsfähige Mammutwaffen ein Garant für den Frieden sein sollen. Allerdings drang sogar der damalige Bundeskanzler Adenauer auf eine Verfügungsgewalt über Atomwaffen, um der kommunistischen Bedrohung Einhalt zu gebieten und die neu gegründete Bundeswehr militärtechnisch zu profilieren.

Links: Präsentation der M65 in der Sheridan Kaserne, November 1954 (Foto: Archiv Amerika in Augsburg e.V.). Rechts: Der mannshohe Geschoßkopf mußte mit einem Kran in den Kanonenverschluß eingebracht werden.

Am 8. Juli 1955 verunglückte bei Kilometer 27,2 der Autobahn München-Augsburg ein Atomgeschütz beim Transport. Der Zug kam Nähe Odelzhausen von der Fahrbahn ab, kippte seitlich eine kleine Böschung hinab und fing durch auslaufenden Treibstoff Feuer. Dieses konnten anhaltende Autofahrer löschen, die Soldaten in den Zugmaschinen waren zum Teil eingeklemmt. Nach einer Totalsperrung der Autobahn und dem Aufmarsch zahlreicher Sanitäts- und Feuerwehrfahrzeuge wurde die Unfallstelle von der Militärpolizei vor Neugierigen abgeriegelt. Es herrschte strengstes Fotografierverbot und man deckte das Unglücksfahrzeug sogar mit Tarnnetzen ab. Hier war man sich wohl der Peinlichkeit des Vorfalls mehr als bewußt und es gab offensichtlich mehrere ähnliche Havarien in Deutschland, die jedoch nie publiziert wurden. Allerdings konnte man (fast) ausschließen, daß auf den Transporten nukleare Munition zugegen war. 

Im Dezember 1963 wurden die letzten Artillerieeinheiten, die mit der M65-Atomkanone ausgestattet waren, aufgelöst. Es begann das Raketenzeitalter und das durch Kennedy getragene "Flexible Response", d.h. eine "geschmeidige Gefechtsführung" mittels nuklearer und/oder -vorrangig- konventioneller Waffen. Auch in Augsburg standen elf Jahre später vier Abschußfahrzeuge für konventionell-nukleare Honest John-Kurzstreckenraketen in der Sheridan Kaserne, aber das ist ein weiteres Kapitel in der Geschichte des Kalten Krieges.

 

Quellen: Schwäbische Landeszeitung

Tankograd Publishing Verlag Vollert

www.usarmygermany.com

 

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