Januar 1939. Der Zweite Weltkrieg war noch weit entfernt. Eine 17jährige Augsburgerin begann ein Poesiealbum zu führen. Nach dem Kriegsbeginn standen am Jahresende 15 Einträge von Mitschülerinnen und Freundinnen in dem kleinen Büchlein. Die Gedichte und Sprüche wiesen unterschiedliche, sehr schöne Schriften mit beeindruckenden Zeichnungen auf. Bis Kriegsende kamen weitere sieben Einträge hinzu. Es war die damalige Kultur der Freundschaftspflege und persönlichen Erinnerungen.
Das junge Mädchen wohnte gegenüber eines Haupttores der späteren Sheridan Kaserne. Sie genoss eine höhere Handelsschulausbildung und so beherrschte sie später die Stenografie und englische Sprache. Als Ende April 1945 die amerikanischen Siegertruppen in die Kasernen einrückten, wurde sie von ihrer Wohnung aus Zeugin der nationalsozialistischen Entmachtung und der amerikanischen Truppeninstallation. Nun war die herangewachsene Dame inzwischen 23 Jahre alt, mit einem jungen deutschen Mann verlobt und in der Blüte ihres Frau seins. Die Zeit war karg und zaghaft im Aufbruch. Die besetzenden Amerikaner mußten sich in einem für sie fremden Kulturkreis zurecht finden und bedurften manch praktischer Hilfe.
Die Siegermächte erließen ein Fraternisierungsverbot für ihre Soldaten und die Zivilbevölkerung. Keine Annäherungen und Freundschaften mit dem Feind. Eigene Plakate wurden gedruckt. Doch dieses Reglement funktionierte vom ersten Tag an nicht. Schon wenige Wochen nach der Besatzung fand eine zunehmende Normalisierung des Zusammenlebens statt. General Eisenhower erwirkte bereits am 1. Oktober des Besatzungsjahres 1945 eine Aufhebung des Verbots. Der einfache amerikanische Soldat war nicht nach diesen Vorgaben gestrickt.
Arthur Goodfriend, Chefredakteur von Stars and Stripes, beschrieb die Natur des amerikanischen Soldaten so, „daß er dazu neigt, in seiner Behandlung anderer Leute, ob Freund oder Feind, freundlich und generös zu sein“. Angekommen in einer anderen Welt war der GI aus Übersee in der Tat mit Schwierigkeiten konfrontiert, denen er mit deutscher Hilfe besser begegnen konnte, noch dazu mit der Unterstützung weiblichen Charms.
So wurde die junge Augsburgerin mit ihren englischen Sprachkenntnissen von den in der Nachbarschaft einquartierten Besatzungssoldaten bald gebeten, für die Bewältigung alltäglicher Probleme dolmetschend behilflich zu sein. Für die junge Frau war die ungewohnte Begegnung mit den US-Soldaten eine völlig neue Lebenserfahrung, die sie mit Erinnerungen in ihrem Poesiealbum festhalten wollte. Weitere sechs Eintragungen erfolgten bis Sommer 1946 und können als frühe Anfänge der transatlantischen Freundschaft in Augsburg gesehen werden.
Das Poesiealbum wurde uns von der Familie zur Verfügung gestellt. Es erfolgte eine Übersetzung der Texte und eine Beurteilung der Inhalte: welche Empfindungen mochte die junge Frau beim Lesen gehabt haben und welche Tiefgründigkeit legten die amerikanischen Soldaten wirklich an den Tag…? Ein paar ausgewählte Seiten sollen hier ausgestellt werden, ganz im Sinne von „Amerika in Augsburg“. Wir danken der Familie für die vertrauensvolle Unterstützung in der Dokumentation der Augsburger US-Ära.
Private Mike Capozzi (?) Co. A, 516. MP Bn, APO 758, U.S. Army. Ich ging meinen Weg am ersten Tag auf militärische Weise. Aber am zweiten Tag konnte ich das nicht, warum? Nun, dort auf meinem port (?) traf ich ein Mädchen so süß und schön, daß ich meine Gedanken nicht mehr auf die Arbeit lenken konnte. Als ich jetzt gehen muss, ist mein Herz gebrochen, auch weil sie nicht mit einem amerikanischen Soldaten auf der Straße gesehen werden will. Deshalb sage ich Auf Wiedersehen & Alles Gute für dich meine Schönheit & für deine Familie. Mike
Augsburg, 6-29-45. Möge dein ganzes Leben von Freude erfüllt sein. Mögen Sorgen in deinem Leben nie vorkommen. Mögest du viele Jahre leben, noch dazu glücklich. Mögest du nie, nie traurig sein. Für immer dein Kenneth.
Für ein zauberhaftes Mädchen, das mir einen traurigen und einsamen Tag hier in Augsburg versüßt hat. Wer sie bekommt ist glücklich. Möge sie immer so strahlend und fröhlich sein. Mein Aufenthalt hier wird immer einen Platz in meinem Herzen freihalten, in dem ich an glückliche Erinnerungen zurück denken kann. Danke für alles und vielleicht werden wir uns eines Tages in Amerika wieder sehen. Jim. Augsburg 21. Oct 45
Sentimental Journey (Sentimentale Reise) = Text eines populären Liedes von 1944, gesungen von Doris Day. Bob Barnett, 11.11.45, Weißenhorn