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Die 7708 War Crimes Group

 

Weichenstellung zur Demokratisierung Deutschlands nach 1945: Vor 70 Jahren wurde mit der Etablierung der 7708 War Crimes Group in Augsburg der Grundstein eines demokratischen Rechtswesens gelegt.

 

AUGSBURG Im Zusammenhang mit der Vereinsarbeit und historischen Recherchen zur Nachkriegszeit, die durch die Anwesenheit der Amerikaner in Augsburg maßgeblich geprägt war, stießen Mitglieder von “Amerika in Augsburg e.V.“ auf eine interessante, aber öffentlich bisher weitgehend unbekannte bzw. auch wissenschaftlich wenig erforschte Begebenheit zur Aufarbeitung der deutschen Nazi-Vergangenheit. Am 1. November 2016 jährt sich zum 70. Mal die Gründung der 7708 War Crimes Group der U.S. Army in Augsburg.

 

                                  Auszug aus dem Originalbericht der 7708 War Crimes Group.

 

Die Vereinigten Staaten begannen im Nachgang des 2. Weltkrieges ein bisher nie da gewesenes Programm zur Verfolgung deutscher Kriegsverbrechen. Demonstrativ und systematisch, von den politischen, militärischen oder wirtschaftlichen Eliten bis hinunter zu den niederen Funktionsebenen, einfachen Soldaten und sogar Zivilisten(!) wollte man den “Tätern“ des Dritten Reiches rechtlich, politisch und auch moralisch gegenübertreten. Der Großteil der zwischen 1945 und 1949 deswegen abgehaltenen Militärtribunale innerhalb der amerikanischen Besatzungszone fand auf dem Gelände des ehemaligen NS-Konzentrationslagers in Dachau statt, wobei die Durchführung der Verfahren den Militärjuristen einer eigens in Augsburg zu diesem Zwecke ins Leben gerufenen Einheit, der 7708 War Crimes Group, übertragen wurde. Die 239 Offiziere und 361 Mannschaftsgrade dieser Einheit wurden in der früheren Arras-Wehrmachtskaserne in Kriegshaber (1953-1994 Teil der Reese-Barracks) stationiert, da diese den “Nazijägern“ bis zur Abkommandierung nach München auch die nötige Infrastruktur für ein Hauptquartier bot.

Im Gegensatz zu den weitaus bekannteren, vor allem aber internationalen Tribunalen in Nürnberg, bei denen einige der hochrangigsten Nazi-, Militär- und politischen Protagonisten des Dritten Reiches sowie auch führende Mitglieder aus Industrie, Justiz und Medizin belangt wurden, stehen die weniger prominenten, aber in Hinblick auf Augsburg relevanten, rein amerikanischen “Dachau Trials“ für 460 Verfahren, in denen die Army 1.676 Militärs niedrigerer Ränge, Wachpersonal der Konzentrationslager, Parteimitglieder und Zivilisten wegen Verstößen gegen das Kriegsrecht zur Verantwortung zog; durch Aburteilung der “deutschen Täter“ sollte ein eigenes System der persönlichen Verantwortungsübernahme für die Verletzung von Kriegsrecht mit dem Ziel geschaffen werden, Deutschland zu “entnazifizieren“, politisch “umzuerziehen“ und auf dieser Basis ein demokratisches Rechtswesen zu etablieren.

Etwa 84,4% der seitens der U.S. Army in Dachau strafrechtlich verfolgten Personen erhielten Verurteilungen, 429 davon zum Tode, wobei letztlich jedoch lediglich 260 tatsächlich exekutiert wurden. Denn vor dem Hintergrund sich geopolitisch verändernder Ziele und Prioritäten der Amerikaner in Deutschland wandelten sich ab 1947 nicht nur die Handhabung der War-Crimes-Verfahren und Urteilsrevisionen, insbesondere im Strafmaß und Umgang mit deutschen Kriegsverbrechern, sondern auch die Art und Weise, mit der Amerika (das einstige Nazi-)Deutschland wahrzunehmen begann; in Hinblick auf die Stabilisierung (West-)Deutschlands und der ihm neu zugedachten Funktion als vitaler Verbündeter und “Bollwerk gegen den Kommunismus“ war die Wiedereingliederung deutscher Kriegsgefangener sowie auch die Rehabilitierung der für die Neuorganisierung bzw. Verwaltung benötigten Personen unabdingbar. Zudem erforderte ein geordnetes, wohlhabendes Europa auch den wirtschaftlichen Beitrag eines stabilen, wieder aufstrebenden und produktiven Deutschlands.

 

Military Trial Court, 7708 War Crimes Group, U.S. Army Tribunals, 1946, Internierungslager Dachau. Quelle: United States Holocaust Memorial Museum.

 

Die in Augsburg installierte 7708 War Crimes Group leistete insofern im Zusammenhang mit den “Dachau Trials“ einen zwar kurzen, jedoch wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung der Verbrechen des Dritten Reiches, deren letzte Kapitel bis heute mutmaßlich noch nicht endgültig geschlossen sind. Trotz oftmals widersprüchlicher geopolitischer Zielvorgaben gelang es der besagten Militärjustiz-Einheit, wie aus zugrunde liegenden Dokumenten hervorgeht, im Rahmen der rechtlich-politischen Möglichkeiten ausgewogen, aber dennoch zügig zu agieren, um Beweismaterial auszuwerten, eine Vielzahl der als Nazi-Unrecht gewerteten Fälle strafrechtlich zu verfolgen, und trotz aller Unwägbarkeiten noch möglichst faire, einfache und fundierte Rechtsprozesse auf die Beine zu stellen.

Gleichzeitig symbolisieren die Tribunale den erstmaligen(!) Versuch, einfache Soldaten und auch Zivilisten, ungeachtet der Verantwortlichkeit ihrer Regierungen, individuell als Täter kriegsrechtlicher Verbrechen zur Verantwortung zu ziehen. Neben der Erinnerung an die Nazi-Opfer sollten deshalb auch die Bemühungen der Amerikaner um eine “Demokratisierung Deutschlands“ Beachtung finden - einen Prozess, der Jahre in Anspruch nahm, jedoch einen entscheidenden Impuls durch die War Crimes Group Augsburg bekam.

(Copyright: G. Rankl, LL.M. Die Arbeit liegt auch in einem ausführlicheren Themenpapier vor).

 

Auch wenn die amerikanischen Dokumente von der Arras-Kaserne sprechen, war es tatsächlich die weiter nördlich gelegene Panzerjägerkaserne. Bis Oktober 1946 dienten beide Kasernen als deutsches Kriegsgefangenenlazarett, dann beanspruchte die 7708th War Crimes Group die Panzerjägerkaserne komplett für sich. Ende Januar 1947 waren die Renovierungsarbeiten hierzu abgeschlossen, der offizielle Betrieb ging bis September des gleichen Jahres. Das PR-Büro war im Gebäude 1 untergebracht. Danach belegten es bis Oktober 1951 nach derzeitigem Wissensstand die Constabularys. (Fotos 50 Jahre später: Lohrmann, Amerika in Augsburg e.V.).

 

 

                                        Aus: „7708 War Crimes Group“, European Command.

 

Ein ausdrucksvolles Indiz für die Anwesenheit der 7708 WCG in Augsburg ist dieses handgesägte Holzrelief, ein Erinnerungsstück der syrisch-stämmigen US-Amerikanerin Catherine Samaha aus Cleveland/Ohio. Sie arbeitete als Gerichtsstenografin beim Womans Army Corps. (Foto: U.S. Militaria Forum, Postings zur Gerichtsstenografin C.S., 7708 WCG, Dachau Trials, Member ID: 22,296).

Im Jahr 2019 erschien in den USA das Buch „Unsung Hereos oft the Dachau Trials“. Der Autor John D. Dunphy beschreibt in einem weit umfassenden Bogen die Arbeit und Hintergründe der 7708th WCG. Zu Augsburg finden sich nur wenige Erläuterungen:

Die Gruppe 7708 WCG traf in der zweiten Novemberhälfte 1946 von Wiesbaden verlegt in Augsburg ein. Augsburg war die nächstgelegene Örtlichkeit zu Dachau, wo geeignete bauliche Einrichtungen für das Hauptquartier zur Verfügung standen*. Die Gruppe WCG bestand hauptsächlich aus speziell geschulten Männern und Frauen, die eine ausgewiesene Ausbildung auf ihrem Gebiet im Zivilleben hatten (z.B. Erfahrung im Verwaltungswesen, Sprachen, Schreibmaschinenbedienung). Darunter befand sich auch die medizinische Abteilung des WAC (Womens Army Corps).

Ein Reporter der US Army in Augsburg schrieb im Juli 1947, daß die Gruppe 7708 die möglicherweise ungewöhnlichste Einheit der gesamten US-Armee sei und praktisch die zweite Phase des Krieges durchführte, mit der (Aufklärung der Kriegsverbrechen, Anm.) der Frieden erst zu gewinnen sei. Nach Aussage eines Mitarbeiters mußten ca. 50.000 verdächtige Nazi-Kriegsverbrecher überprüft werden. Die Millionen von Dokumenten wurden in 18 LKW-Ladungen von Wiesbaden nach Augsburg gebracht. Angesichts der Arbeitsfülle beklagten die Angehörigen der Gruppe den permanenten Personalmangel, sie sollten doch die Vorbereitungen zu den Nürnberger Prozessen durchführen. So wurde (beispielhaft) der damals erst neunzehnjährige Bill Kasich aufgrund seiner Beherrschung von Russisch und mehrer slawischer Sprachen für die WCG besonders ausgewählt. (Insgesamt soll das Personal der 7708 wie bei den Nürnberger Prozessen bemerkenswert jung gewesen sein. Dies dürfte dem Umstand geschuldet sein, daß nach Kriegsende die Soldaten der Kampfeinheiten nach einem bestimmten Punktesystem in die Heimat entlassen wurden und für die administrativen Besatzungsaufgaben neue junge Wehrpflichtige nachrückten. Hier bediente man sich offensichtlich nach rein praktischen Gesichtspunkten).

Die WCG verließ bereits ab Juli bis Ende September 1947 Augsburg, um ihr neues HQ in Freising bzw. in München zu beziehen.

* Panzerjägerkaserne an der Langemarckstraße in Kriegshaber. Die Straße wurde im Jahr 2022 in "Familie-Einstein-Straße" umbenannt.

Seltene Privataufnahmen einer Mitarbeiterin der 7708 WCG an der Einfahrt zur damaligen Panzerjägerkaserne, später Reese Bldg 2. Das Foto rechts oben entstand wohl auf einer Ausflugsfahrt.

Anmerkung: Das AiA-Team "7708" forschte in vielfältigen Quellen, um Informationen zur Präsenz der 7708th WCG in Augsburg zu erhalten. Die gewonnenen Erkenntnisse wurden in einem Sammelwerk zusammengefaßt und vermitteln eine konzentrierte Übersicht über die bislang in Augsburg offiziell unbekannte US-Einheit. Daneben wurde hierüber eine schriftliche Ausarbeitung verfaßt. Die Augsburger Allgemeine Zeitung veröffentlichte am 28. Oktober 2016 einen ganzseitigen Bericht über diese Vereinsarbeit.

Gesamtbearbeitung: Max Lohrmann, AiA

 

 

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